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Buchrezension „Angst und Macht“ von Rainer Mausfeld

Buchrezension Mausfeld BuchObwohl schon vor der Corona-Krise geschrieben, verleiht eben jene Krise dem Buch ungeahnte (oder eben doch geahnte) Aktualität.

Rainer Mausfeld ist Professor in Pension für Wahrnehmungs- und Erkennungsforschung an der Uni Kiel. Somit ist er maximal kompetent und aufgrund seines Alters von gesellschaftlichen Zwängen befreit. Man könnte auch sagen, er ist angstfrei.

Dieses Buch hat nur 100 Seiten mit relativ großer Schrift und ist deshalb schnell zu lesen. Es ist wohl als Zusammenfassung und weitere Präzisierung seines Vorgängerbuches „Warum schweigen die Lämmer?“ anzusehen, das wesentlich umfangreicher ist. Die schwarzen Seiten mit weißer Schrift sind Zitate aus diesem Buch, die der Autor für besonders wichtig hält.

Buchrezension Mausfeld

Das ist die einzige Grafik im Buch, aber sie sagt alles aus. Zur Klärung, was Realangst ist, lesen Sie besser nicht Mausfeld sondern „Asterix und die Normannen“. Es ist die Angst, bei der Sie wissen, wovor Sie Angst haben. In dem Fall können Sie damit umgehen und versuchen, der bedrohlichen Situation zu entkommen.

Unser Problem heute ist die Binnenangst. Ausdruck dieser Angst ist z.B. unbegründbare Panikattacken. Das ist die Angst, die den Mächtigen am liebsten ist, weil sie den Verursacher nicht erkennen lässt. Am Beispiel der Corona-Situation festgemacht: Wenige machen die Politiker, die WHO oder das Weltwirtschaftsforum für die derzeitige Lage verantwortlich. Nein, es ist ein Virus, das niemand sehen, hören, fühlen oder schmecken kann. Beim Klimawandel ist es dasselbe. CO2 kann man ebenfalls nicht wahrnehmen.

Diese Binnenangst geschieht nicht zufällig. Da sitzt jemand an einem Regler, mit dem man den Grad der Angst der Menschen im Durchschnitt sehr feindosiert bestimmen kann. Für bestimmte Vorhaben, z.B. einen kleinen Krieg in Jugoslawien, braucht man 40% Angst, in Friedenszeiten vielleicht nur 15% (damit die normale Wirtschaftsmaschine läuft). 9/11 (also, der Einsturz von 3 Hochhäusern in New York 2001) war ein Ereignis, dass den Angstlevel sehr weit nach oben geschraubt hat. Wiederum als Bild gesprochen, der Mann am Regler hat sein Angstdosimeter auf sagen wir mal 70% gedreht. Damit konnten mehrere Kriege angefangen und in den USA Kriegsrecht eingeführt werden, was auch dauerhafte Beschränkung der bürgerlichen Freiheiten gebracht hat.

Die Herrschaftsform, die dieses Angstdosimeter bedient, nennt Mausfeld Neoliberalismus. Ein weitgehend unsichtbares Gebilde, das dennoch Wirkung hat. Personell dürften die Mächtigen bei den Megareichen zu suchen sein, die sich im Weltwirtschaftsforum in Davos zusammengeschlossen haben. Dort werden die Maßnahmen weltweit koordiniert. Aber der Neoliberalismus wird auch durch Systeme unterstützt, was Mausfeld allerdings nicht weiter ausführt. Das Geldsystem z.B. ist ein Schuldgeldsystem, d.h. es gibt immer nur so viel Geld, wie andere Schulden gemacht haben. Durch die Zinsen wird eine ständige Vermehrung des Geldes - und damit der Schulden - erzwungen, das ebenfalls durch die Zinsen zu den bereits Reichen geschaufelt wird.

Prekariat bedeutet, dass sich niemand auf ein gesichertes Einkommen verlassen kann. Fehlverhalten führt sofort zum Verlust desselben. Der Neoliberalismus hat es geschafft, dass wir ein solches „Fehlverhalten“ selbst sofort erkennen und uns daraufhin nicht mehr wohl fühlen. Heute sind die Grenzen so eng gesteckt, dass wir sogar ein schlechtes Gewissen empfinden, wenn wir am Stammtisch über unseren Arbeitgeber schimpfen. Jeder will alle Anforderungen ohne Hintergedanken erfüllen.

Meritokratie ist die Herrschaft derer, die am meisten leisten. Sie sollen auch reicher werden als andere um die Motivation für höhere Leistung aufrecht zu erhalten. Das ist grundsätzlich gut, jedoch berücksichtigt es nicht Zeit und Mensch. Ein reicher Mensch wird versuchen, seinen Reichtum auch für seine Kinder zu erhalten, obwohl sie meistens weniger leisten als ihre Eltern. Damit haben wir die Situation, wie wir sie heute sehen. „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ ist eine Sage aus dem Altertum geworden und dient nur noch dazu, den Armen ein bisschen Hoffnung zu lassen. Ohne die Fürsprache der Reichen haben sie keine Chance mehr.

Wir sehen, der Neoliberalismus stiehlt sich positive Begriffe, leert sie aus und benutzt sie für eigene Zwecke. Und da sind wir bei den Motiven. Stellen Sie sich vor, Sie sind ein reicher Mensch und werden ständig beklaut und beschimpft. Das wollen Sie nicht. Sehen Sie sich unsere Situation heute an. Haben die Reichen das nicht wunderbar gelöst? Nun kommt der nächste Schritt. Stellen Sie sich wieder vor, Sie sind reich und haben sich etwas zu Schulden kommen lassen. Sie werden von einem Gericht zu einer empfindlichen Strafe verurteilt. Auch das wollen Sie nicht. Was kann man da machen? Ganz einfach, man stellt sich mit Hilfe seines Reichtums über die Staaten und benutzt sie zur Kontrolle der Bevölkerung und der staatlichen Organe. Diesen Umbau beobachten wir gerade. „Teile und herrsche“ praktizierten schon die Römer und es funktioniert immer. Wir werden gerade geteilt, am besten in die kleinstmöglichen Teile, die einzelnen Menschen. Das liegt aber nicht in der Natur des Menschen. Er ist ein Herdentier. Also muss Zwang angewendet werden. Ein angstfreier Mensch lässt sich zu nichts zwingen. Also brauchen sie die Angst um Menschen zu einem bestimmten Verhalten zwingen zu können.

Viele sehen inzwischen den Charakter des Neoliberalismus und sehen auch, dass er abgewirtschaftet hat. Die Zinsen sind weg, was den Zusammenbruch aufgehalten hat. Große Teile der Welt sind zerstört. Kriege töten laufend Menschen oder halten sie in Armut und Not. Da auch die Neoliberalen dies erkennen, sind sie auf der Suche nach einem neuen System. Nach deren Überzeugung eignet sich das chinesische System hervorragend. Dort werden riesige Menschenmassen ohne nennenswerten Widerstand zentral gesteuert. Jedoch dürfte das nicht das sein, was sich wir Europäer erträumen.

Wie könnte ein neues System für uns aussehen? Natürlich könnte man ein idealisiertes Zukunftsszenario darstellen, aber was ist, wenn es nicht eingehalten wird. Gibt es dann wieder Krieg?

Das Universum besteht aus Prozessen, die relativ zueinander in unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufen. Es geht darum, diese Prozesse in bestimmte Richtungen zu lenken. Diese Ziele müssen über alles erhaben sein und von jedem Menschen akzeptiert werden können. Sie sollen jedem ein verträgliches Leben in größtmöglicher Freiheit ermöglichen. Die gegenseitige Fürsorge innerhalb der Menschheitsfamilie sollte Leitgedanke sein. Mehr nicht.

Das Verfahren für weitere Entscheidungen wäre eine Konsensierung. Es ist jene Methode, die eine Lösung sucht, die am wenigsten abgelehnt wird und daher dem Konsens am nächsten kommt. Systemisches Konsensieren orientiert sich daran, wie groß oder klein der Widerstand ist. Das bedeutet, dass die Handlungen der Menschheit von den kleinsten Einheiten nach oben zu größeren Einheiten gesteuert wird. Also genau umgekehrt wie jetzt. Es ist unsere Aufgabe, denen da oben aufzuzeigen, dass dies die bessere Methode ist.

Also, werdet angstfrei, geht auf eure Mitmenschen zu und befreit sie von ihrer Angst. Mit Nächstenliebe werden wir uns eine bessere Welt schaffen.